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Jörg Mertin, Rezension:

Sabine Holzschuh: Raum und Trauer. Eine praktisch-theologische Untersuchung zu Abschiedsräumen. Echter Verlag Würzburg 2006 (Studien zur Theologie und Praxis der Seelsorge 65)

Das Buch ist eine aufschlussreiche Dissertation, die 2005 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Regensburg angenommen wurde. Es beschäftigt sich einem Thema, das durch die Institutionalisierung des Sterbens drängend geworden ist. Eine erhebliche Zahl von Menschen (mindestens 50%) stirbt in Einrichtungen wie Krankenhäusern, Hospizen und Altenheimen. Wenn man weiss, wie viel das „Zuhause-Sein“ einem Sterbenden bedeutet, wie verzweifelt sich manchmal Sterbende dagegen wehren, zuletzt noch aus dem eigenen, dem Gewohnten abgeschoben zu werden, dann weiss man, dass das ein wichtiges Thema ist. Die Räumlichkeiten in Institutionen wie Krankenhäusern und Altenheimen sind meist wenig heimatlich. Anders steht es sicher in Hospizen, aber auch das Hospiz bleibt für den Sterbenden ein letztes Exil. Wer zu Hause stirbt, von dem kann man sich in der gewohnten Umgebung verabschieden. Wer aber in der Fremde stirbt, der bleibt auch als Toter im Exil. Die Einrichtung von Abschiedsräumen will den Angehörigen helfen, aber sie hat auch mit dem kollektiven Schuldgefühl zu tun, was man Sterbenden mit dem Entzug des Zuhauses angetan hat. So kann man sich wenigstens menschlich verabschieden.

Sabine Holzschuh unterscheidet sinnvollerweise den Abschiedsraum vom Sterbezimmer. In ihrer Arbeit geht es ausschließlich um den speziell für den Abschied nach dem Eintritt des Todes konzipierten Raum.

Philosophisch geht sie vom Raumbegriff Otto Bollnows aus, arbeitet dann auch theologisch Auferstehungsvorstellungen durch. Aber das eigentlich Interessante an der Arbeit ist die mit den Mitteln der qualitativen Sozialforschung durchgeführte Untersuchung dreier praktischer Beispiele: des Abschiedsraums im Markuskrankenhaus Frankfurt, des Raumes im Bestattungshaus Ramsaier in Stuttgart und des Raumes in der Landes-Nervenklinik Wagner-Jauregg in Linz. Neben der Beschreibung der Räumlichkeiten stellt sie sehr plastisch Interviews mit den jeweiligen Betreibern, Planern und Erbauern der Räume, den Begleitern und Hinterbliebenen vor, die sich in dem Raum von einem Verstorbenen verabschiedet haben.

Alle drei Räume sind weitgehend gelungene Beispiele. Überall, und das scheint mir ein wesentlicher Punkt zu sein, wird spürbar, dass man tatsächlich dem Toten Ehre erweist, sorgfältig und respektvoll mit ihm umgeht.

Alle drei Raumbeispiele weisen unterschiedliche Merkmale auf, aber gemeinsam ist allen, dass die Gestaltung des Raumes sorgfältig durchdacht ist, dezent, zurückhaltend und den Angehörigen ein Gefühl von Angenommensein und Wärme vermittelt. Die Räume scheinen auch allesamt eine gute Größe zu haben, etwa zwischen 15 und 25 qm.

Mich hat es erstaunt, dass bei den Interviews mit den Hinterbliebenen doch auch die Erinnerung an den Raum wirksam war. Sicher ist es so, dass Angehörige in der konkreten Situation starke Gefühle entwickeln. In den Interviews zeigt sich, dass die Tatsache des Verabschiedens und die Gefühle am wichtigsten waren, der Raum als solcher war es weniger. Aber es zeigt sich auf jeden Fall auch, dass der Raum eine unterstützende Variable für einen als hilfreich empfundenen Verabschiedungsvorgang ist.

Die Wahrnehmung der Hinterbliebenen in dem Verabschiedungsprozess schwankt sehr stark zwischen einer Empfindung von Dumpfheit (...wie in Watte, nicht wirklich) und einer Empfindung überdeutlicher Klarheit. In einem Raum waren Rosen aufgestellt. Ein Hinterbliebener erinnert sich deswegen daran, weil eine dieser Rosen verwelkt war. So zeigt sich, dass beides wichtig ist: eine sorgfältige Gestaltung und das, was sich dieser Gestaltung doch auch entzieht und was man nicht gestalten kann.

Neben vielen praktischen Hinweisen für die Gestaltung solcher Räume findet sich auch ein abschliessendes Plädoyer für Abschiedsräume. Ich kann das nach der Lektüre unterstreichen: Es scheint wirklich so zu sein, dass Hinterbliebene einen hilfreichen Beginn ihrer Trauerarbeit durch einen sorgfältig gestalteten Abschiedsraum erhalten können.

Eine bewusste Beschränkung in der Arbeit hat mir nicht recht eingeleuchtet: Sabine Holzschuh wählte die Raumbeispiele danach aus, ob ein christliches Sinn- und Deutungsangebot vorhanden war. Die Autorin entnimmt aus den Interviews, dass dieses Angebot wichtig sei. Ich hatte einen etwas anderen Eindruck aus dem, was von den Interviews zumindest der Hinterbliebenen mitgeteilt wird. Mir schien es, als ob die christliche Symbolik eher zum Rand des Geschehens gehörte. Auf jeden Fall ist sie in allen Fällen eingebettet gewesen in die Gesamtgestaltung als ein Element. Sie störte nicht, aber die Hinterbliebenen erinnerten sie nicht durchweg deutlich. Ich hatte den Eindruck, dass es mehr eine komplexe Gefühlslage war, die, sowohl durch den Raum als auch durch den würdevollen Umgang mit den Toten hervorgerufen, als hilfreich erlebt wurde. Ob Räume ein solches Sinnangebot machen oder nicht, ist vielleicht weniger entscheidend als dass es in Zukunft mehr so gut durchdachte Räume gibt, wie Sabine Holzschuh sie in diesem Buch vorgestellt hat. Um diesen Prozess zu befördern, ist das Buch eine gute Hilfe.

Download und Kopie nur zu privaten Zwecken. Die öffentliche Verbreitung bedarf meiner ausdrücklichen Genehmigung.



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