Spielplatz:
Gemeindegespräch über Kunst und Kirche (Heide Welslau, Kirchenkreis Paderborn, und Jörg Mertin)
Paderborn
(wels). Noch bis zum 17. September ist in der Abdinghofkirche Paderborn
täglich von 11 - 18 Uhr die Ausstellung "Randzeichen" mit
großformatigen Bildern von Frank Schult zu sehen. Veranstalter sind die
Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde und der Kirchenkreis Paderborn.
Besonders die Hängung des Bildes "Arche" zwischen Altar und Kreuz hat
für Diskussionen gesorgt. Zu einem Gemeindegespräch über „Kunst und
Kirche" lädt der Arbeitskreis „Kunst und Kirche am Abdinghof" alle
Interessierten am Montag, dem 4. September, um 18 Uhr in das
Paul-Gerhardt-Haus am Abdinghof ein. Die hier im Anschluss zu lesende,
gekürzte Zwischenbetrachtung zu „Randzeichen" gibt Einblicke in die
Ausstellung und in die Arbeits- und Denkweise des Arbeitskreises „Kunst
und Kirche am Abdinghof". Autor ist das Mitglied Pfarrer Dr. Jörg
Mertin.
"Bilder machen individuell Erlebtes zu emotionalen Zeitansagen"
„Mit
der Ausstellung Randzeichen wird der Versuch fortgesetzt, die Kirche
mit gegenwärtigen ästhetischen Erfahrungen und Ausdrucksformen in
Beziehung zu setzen. Der diesmal eingeladene Künstler Frank Schult hat
seine Absicht dabei sehr zurückhaltend formuliert: Nicht mehr als
Randzeichen sollen seine Bilder sein, Anmerkungen und Kommentare zu dem
Haupttext, dem Wesentlichen, was in der Kirche und in der gegenwärtigen
Gesellschaft geschieht. Der Betrachter soll selbst entscheiden,
inwieweit er sich mit den Bildern auseinandersetzen will. Nach den
Erfahrungen der ersten Wochen zu urteilen geht aber kaum ein Besucher
der Kirche an den Bildern achtlos vorbei. Sie ziehen die Blicke auf
sich. Der oft geheimnisvoll wirkende, vielschichtige Bildaufbau reizt
zu Entdeckungen, aktiviert und schult die Wahrnehmungsfähigkeit des
Betrachters. Anziehend wirken die Bilder offenkundig auch aufgrund der
figurativ-graphischen Dimension. (...) Frank Schult wählt einen
biografisch-existenziellen Einstieg, nicht einen formalen.
Deshalb
sind die Bilder in der Abdinghofkirche im Wesentlichen auch
werkbiographisch aufgehängt: im südlichen Seitenschiff Werke aus den
Jahren 1988-1991, im nördlichen Seitenschiff Bilder aus den Jahren
1996-1999. Die Betrachter können auf diese Weise die Entwicklung des
Malers verfolgen und werden gleichzeitig auf die Frage nach der eigenen
Entwicklung, dem eigenen Lebenslauf und den eigenen Erfahrungen
aufmerksam gemacht. (...) Schon diese Möglichkeiten machen aus den
Bildern mehr als nur Randzeichen. Sie sind im Grunde auch
„Wandzeichen", Menetekel in geheimnisvoller Schrift, die das
individuell Erlebte in einem prophetischen Gestus dramatisieren und zu
emotionalen und zugleich apokalyptischen Zeitansagen machen. (...)
Existenzbedrohende Beschleunigungen entwurzeln die Menschen und zwingen
sie in Boote auf eine ungewisse, geborgenheits-sehnsüchtige Fahrt, um
einmal die in mehreren Bildern erkennbare Symbolik aufzugreifen.
Mehr
als ein Randzeichen ist nun aber auch in räumlicher Hinsicht das Bild
„Arche", das der Künstler zwischen Altar und Kreuz aufgehängt hat. Mit
dieser Hängung ist der für jede Begegnung zwischen Gegenwartskunst und
Kirche notwendige Eingriff in den Kirchenraum vollzogen. Verzichtete
man auf solche Eingriffe, würde sich die Kunst auf Kirchenausstattung
reduzieren. An dieser herausragenden Stelle aber gibt das Bild zu
denken. Manchem Betrachter wird erst jetzt klar, dass sich sonst
zwischen Kreuz und Altar ein undefinierter Zwischenraum befindet, der
lediglich einen Blick auf die dahinterstehende Orgel ermöglicht. Nun
aber ist da ein Bild, und es ergibt sich ein harmonisches Farbenspiel
zwischen Altar, Bild und dem darüber hängenden Kreuz. Paradoxerweise
wird durch das hinzugefügte Bild auch das Kreuz hervorgehoben. (...)
Unterschiedliche Wahrnehmungen und Assoziationen werden hervorgerufen:
Eine
Arche in wilder Fahrt im Schiff der Abdinghofkirche, die aufgrund des
gegenüber Eingang und Chor abgesenkten Bodens selbst eine Art Boot ist.
Der Altar plötzlich ein ruhender Pol, ein Zufluchtsort. Über allem
Christus am Kreuz, in ihm aufgehoben die Zuflucht und das Chaos. Solche
Assoziationen haben mit der besonderen Hängung in der Abdinghofkirche,
also mit dem Kontext zu tun. In einem Museum oder in einer Galerie
stünden dagegen eher die formalen Aspekte des Bildes im Vordergrund.
Das
Bild verändert zeitweise den Raum. Das scheint im kirchlichen Bereich
für viele immer noch eine Zumutung zu sein, die unsicher macht und das
Bedürfnis nach Regulierung und Sicherheit hervorruft. Im Grunde fordern
solche Eingriffe in den Kirchenraum Zutrauen und Mut im Ungesicherten,
und sie versprechen neue Erfahrungen und Wahrnehmungserweiterungen.
Viele Besucher verstehen die Bilder Frank Schults in der
Abdinghofkirche als schöpferischen Denkanstoß. Die Kirche ist auf
solche Denkanstöße angewiesen, um die existenzielle, soziale und
metaphysische Kapazität der christlichen Religion immer wieder neu zu
aktivieren, und um teilzuhaben an dem, was Menschen in dieser
Gesellschaft bewegt und damit sprachfähig zu bleiben (...)."
Download und Kopie nur zu privaten Zwecken. Die öffentliche Verbeitung bedarf meiner ausdrücklichen Genehmigung.
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