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Hiob religionsphilosophisch gelesen
1. Einleitung (ohne Anmerkungen)
Das
Hiobbuch gehört zu jenen Büchern des Alten Testaments, denen
allenthalben eine ungewöhnlich reiche außertheologische
Wirkungsgeschichte zugeschrieben wird. Wie es sich damit verhält,
soll hier in einem ihrer Teilbereiche untersucht werden: Gegenstand der
Arbeit ist der bislang wohl gelegentlich gewürdigte, nicht aber im
Ganzen dargestellte Abschnitt der religionsphilosophischen
Rezeptionsgeschichte des Hiobbuchs: seine Lektüre durch Herder,
Kant, Hegel und Kierkegaard. Mit ihren Hiobinterpretationen ist ein
besonderes Interesse verbunden, denn an ihnen lässt sich die
Berechtigung nachprüfen, mit der auf verschiedenen Ebenen des
Umgangs mit diesem Text mit einer gewissen Selbstverständlichkeit
philosophische Dimensionen ausgemacht werden; exegetisch z.B. durch die
Zuordnung zur protophilosophischen Weisheitsliteratur des Alten
Orients, vor allem aber, wenn es um die rezeptionsgeschichtlichen
Ausstrahlungen geht. So galt, einer Äußerung K. Aners
zufolge, Hiob im letzten Drittel des 18.Jh. "als der Philosoph des
mosaischen Zeitalters". In welchem Sinne lässt sich das verstehen?
Ein weiterer Hinweis auf das Philosophische am Hiobbuch verbindet sich
mit der üblichen Verknüpfung des Textes mit dem
Theodizeeproblem. Wie kam es zu dieser Zuordnung? Was für eine
Hiobinterpretation ist damit verbunden?
Die
genannten vier Autoren dürfen als kompetente Zeugen angesehen
werden, in ihrer Hioblektüre sind eher als in der Hiobexegese
Antworten zu suchen. Dieser direkte Gegenstandsbereich der vorliegenden
Arbeit soll anhand folgender, jetzt nur erst grob zu skizzierender
methodischer Fragelinien untersucht werden: Was genau macht die
religionsphilosophische Lektüre aus? In welchem thematischen
Kontext wird interpretiert? Welche Rolle spielt der Kontext für
die Interpretation? Lassen sich Zusammenhänge zwischen diesen
Interpretationen ermitteln? Kann man möglicherweise von einer
bestimmten Linie der Lektüre sprechen, die sich von der
exegetischen oder gar einer theologischen unterscheidet?
Die
Arbeit besitzt aber noch einen indirekten Gegenstandsbereich, der, auf
den Verwendungszusammenhang des Darzustellenden gesehen,
möglicherweise sogar an die erste Stelle treten kann. Denn die
rezeptionsgeschichtliche Untersuchung der "Philosophie" des Hiobbuchs
kann allenfalls sehr vermittelt ein Beitrag sein zur Interpretation der
Philosophie und Theologie von Herder, Kant, Hegel und Kierkegaard. Die
Substanz ihres Gedankens ist von der Hiobrezeption kaum abhängig
oder beeinflusst, das Hiobbuch bleibt in aller Regel Gegenstand des
philosophischen Begriffs. Doch hat die Untersuchung der
religionsphilosophischen Rezeptionsgeschichte eine wesentliche Funktion
für den Zusammenhang, in welchem biblische Texte einen ihrer
traditionellen Orte haben, nämlich die Geschichte der Auslegung
des Hiobbuchs in der Exegese. Hier ist der zu untersuchenden
Fragestellung unter zwei Gesichtspunkten sogar ein bedeutender
Stellenwert zuzuschreiben:
a) Die
Geschichte von Exegese und Hermeneutik zeigt allgemein, dass die
Bedeutung nichttheologischer Voraussetzungen in der Exegese seit dem
18.Jh. zunimmt. Da die zu behandelnden vier Autoren eine wichtige
Dimension dieser Voraussetzungen repräsentieren, nämlich den
geistesgeschichtlichen Hintergrund in Spätaufklärung und
Idealismus, ist die Annahme sinnvoll, dass sich Grundorientierungen der
modernen Hiobinterpretation in dieser nichtexegetischen
Auslegungsgeschichte deutlicher herausarbeiten lassen.
b)
Darüber hinaus kann speziell für das Hiobbuch gesagt werden
(und der Nachweis wird durch die Untersuchung angetreten), dass es
gewissermaßen das Schicksal der Exegese dieses Textes gewesen
ist, durch Gesichtspunkte der Aneignung bestimmt worden zu sein. Die
Exegese kaum eines anderen Textes hat, in gleichsam präreflexiver
Selbstverständlichkeit, so konstant Interessen, aneignende und
ideologische Stellungnahmen der Interpreten herausgefordert wie das
Hiobbuch. Diese Stellungnahmen sind seit dem 18.Jh. zu einem
erheblichen Teil (aber nicht ausschließlich) nicht explizit
theologischer Natur, sondern philosophisch, ästhetisch und
moralisch bestimmt. Das Hiobbuch zeichnet sich daher weniger durch
seine vielleicht respektable außertheologische Wirkungsgeschichte
aus, als vielmehr dadurch, dass diese außertheologischen Momente
im Inneren nahezu jeder Exegese seit dem 18.Jh. eine gewichtige,
vielleicht eine bestimmende Rolle spielen. Man kann begründet
sagen: Die Geschichte der exegetischen Hiobrezeption ist seit dem
18.Jh. wesentlich auch eine Geschichte der Wahrnehmung philosophischer
Dimensionen im Text. Der Adressat der Aufarbeitung der
religionsphilosophischen Rezeption ist daher nicht zuletzt die
Hiobexegese. Im Spiegel der religionsphilosophischen Auslegung wird die
Genese und der Gehalt eines in der gegenwärtigen Hiobauslegung
üblichen Urteils erklärt, das sich selbst nicht durchsichtig
ist und zur Forschung in einem unaufgeklärten Verhältnis
steht.
Da die Bedeutung der hier zu
untersuchenden Rezeptionen für die zeitgenössische Exegese
als erheblich gelten muss, ist es sinnvoll, die Untersuchung
entsprechend anzulegen und die Darstellung der religionsphilosophischen
Rezeptionen auf die korrespondierenden Fragestellungen der Hiobexegese
zu beziehen. Das entspricht auch der Rezeptionsgeschichte, in der beide
Linien nicht beziehungslos nebeneinander verliefen, sondern die Exegese
sich der Philosophie ebenso bediente, wie die Philosophie ein Hiobbuch
interpretierte, das durch eine lange Tradition in seinen Bedeutungen
stabilisiert war. Es ist zwar, wie sich zeigen wird, sinnvoll, mit dem
18.Jahrhundert einen gewissen Einschnitt im Thema anzunehmen, doch
werden im 18.Jh. keineswegs völlig neue Fragestellungen an die
Hiobexegese herangetragen, im Gegenteil: die Geschichte der
theologischen Auslegung war seit dem 12.Jh. auf die Möglichkeit
aufmerksam geworden, das Hiobbuch als biblische Formulierung eines
allgemeinen theologisch-philosophischen Problems zu verstehen. Beide
Rezeptionslinien lassen sich also als Teil einer Geschichte begreifen,
weniger zwar einer Geschichte wechselseitiger Rezeption, wohl aber
einer Geschichte gemeinsamer Problemstellungen und unterschiedlicher
Antworten. Das zeigt aber an, dass quer durch die verschiedenen Linien
sich ein formales rezeptionsgeschichtliches Spezifikum des Textes
manifestiert: das Hiobbuch wird als ein Buch rezipiert, das ein Thema
aufweist; das allerdings ist in der Auslegungsgeschichte mannigfach
variiert worden.
Die vorliegende
Untersuchung wird dem rezeptionsgeschichtlichen In- und Gegeneinander
beider Rezeptionslinien dadurch Rechnung tragen, dass die Hiobexegese
in jedem Kapitel einen konstitutiven Stellenwert erhält, indem sie
einerseits den zeitgenössischen exegetischen Hintergrund
beleuchtet und andererseits als Feld der vermittelten Wirkungen der
philosophischen Rezeptionen erschlossen wird.
Zur
näheren Begründung der entwickelten allgemeinen
Gesichtspunkte sollen folgende Problemkreise behandelt werden: (a)
Gegenstandsbereich und Themaformulierung; (b) Auswahlkriterien; (c)
Problemfeld, Forschungslage und Fragestellungen; (d) Gliederung.
a)
Kein Zweifel kann daran bestehen, dass der Gegenstandsbereich, anders
als in einer Geschichte der Hiobforschung, recht uneinheitlich ist. Es
gibt keine einheitliche Methode philosophischer Bibelinterpretation,
keine übereinstimmende Hermeneutik, im Gegenteil: die
philosophischen Kontexte und Methoden unterscheiden sich nicht wenig
voneinander. Diesem Problem ist nur durch die Einzelinterpretation der
einschlägigen Texte zu begegnen. Hinzu kommt, dass nicht alle vier
Autoren im gleichen Sinne mit dem Begriff der Philosophie zu erfassen
sind. Herder und Kierkegaard bilden dabei das größte
Problem. Die auf Theologie und Religion hin angelegte Art des
Kontextes, für den das Hiobbuch jeweils in Anspruch genommen wird,
legt aber den Begriff der religionsphilosophischen Auslegung nahe. Er
bezeichnet weder eine für alle verbindliche Methode, noch zielt er
auf eine inhaltliche These über das Verhältnis von
Philosophie und Theologie bzw. Exegese. "Religionsphilosophische
Auslegung" wird vielmehr fortan im Sinne einer Sprachregelung
verwendet, um formal alle vier Zugänge zusammenhalten und in den
rezeptions- und problemgeschichtlichen Verflechtungen mit der
zeitgenössischen Exegese als besondere Rezeptionslinie
identifizieren zu können.
b)
Obwohl mit den vier Autoren alle wesentlichen Rezeptionsvorgänge
erfasst sind, ist es sinnvoll, sie unter Auswahlkriterien zu stellen.
Auf diese Weise lässt sich einerseits das Moment des Zufalls, das
in dieser historischen Konfiguration liegt, auf seine konstituierenden
Momente hin durchklären, andererseits das Verhältnis zu
benachbarten Rezeptionen bestimmen.
1.
Die Hiobrezeption soll sich weder von einem exegetischen noch von einem
theologischen Ansatz her ganz aufschlüsseln lassen. Der Kontext
soll ebenso kein ausschließlich literarischer sein. Das
Hauptinteresse am Hiobbuch muss ein in einem weiten Sinne
philosophisches, bzw. auf Philosophie bezogenes sein. Bei Kant und
Hegel dürfte es sich, auch innerhalb ihrer Interpretation, als
religionsphilosophisch, bei Kierkegaard, der einen Grenzfall zur
theologischen Auslegung darstellt, als existenzphilosophisch verstehen
lassen; bei Herder liegt ein poetologisches und
geschichtsphilosophisches Interesse zugrunde. Herders Interpretation
greift in die Exegese aus, diejenige Kierkegaards in die Theologie;
diese Übergänge müssen nachgezeichnet werden.
Kriterium
1 erlaubt es nicht, der Hiobmeditation J. G. Hamanns ein eigenes
Kapitel einzuräumen, ebenso wenig wie beispielsweise der
Interpretation Bruno Bauers. Beide werden aber an einschlägigen
Stellen in die Untersuchung einbezogen. Möglich wäre eine
Untersuchung des Hiobkapitels in A. H. Niemeyers "Charakteristick der
Bibel". Wir verzichten darauf, weil hier eine
ästhetisch-theologische Lektüre vorliegt, die nicht weit von
Herder entfernt ist, aber bei weitem nicht die Stringenz seiner Deutung
erreicht. Darüber hinaus ergeben sich die Themen, die Niemeyer
verhandelt, weitgehend aus der traditionellen theologischen Auslegung.
Niemeyers Interpretation wird daher nur begleitend zu Rate gezogen.
2.
Die Rezeption darf nicht nur ein Zitat sein und sie muss sich, wie
knapp sie auch ausfällt, auf das Ganze des Hiobbuchs beziehen.
Nach diesem Kriterium können etwa Schellings Bemerkungen zur Figur
des Satans in der "Philosophie der Offenbarung" nur am Rande
Berücksichtigung finden.
3. Die
Untersuchung erfasst Rezeptionen aus dem deutschen Sprachraum bzw. von
Autoren, die ihre hauptsächliche Wirkung dort haben.
4.
Die Geschichte der religionsphilosophischen Auslegung beginnt im
18.Jahrhundert; die obere Grenze des Zeitraums der Untersuchung ergibt
sich im Grunde aus Kriterium (1). Es gibt vor Herder keine
religionsphilosophische Hiobrezeption, die nicht theologische
Interessen verfolgt und zugleich allen anderen Kriterien genügt.
Ausnahmen sind Hobbes und Spinoza. Ihre Lektüren (vor allem die
Spinozas) sind jedoch weniger Auslegung, sondern gehören der Form
nach eher zu einer Einleitung ins Hiobbuch. Beide werden in der
Vorgeschichte (Kap. 2) behandelt, wobei Hobbes wegen einiger
rezeptionsgeschichtlich bedeutender Gesichtspunkte ausführlicher
dargestellt wird.
Die untere Grenze des
Zeitraums (1850, für die exegetischen Vergleichstexte bis etwa
1900) ist einerseits arbeitsökonomisch begründet.
Andererseits liegt zwischen Kierkegaard und der nächsten
einschlägigen Interpretation von R. Otto (Das Heilige) ein
Zeitraum von fast 70 Jahren; die Bedingungen der Rezeption haben sich
dort so geändert, dass sie neu geprüft werden müssten;
schließlich dürfte auch in der Hiobexegese um 1900 mit der
religionsgeschichtlichen Schule ein neuer Abschnitt beginnen.
c)
Eine Forschungsgeschichte ist nicht darzustellen, weil die
außertheologische Rezeptionsgeschichte zwar im
wirkungsgeschichtlichen Urteil durchweg als erheblich reklamiert wird,
aber noch nicht wissenschaftlich untersucht worden ist.
Aus
den wenigen vorhandenen Ansätzen und ihren Aporien lässt sich
aber immerhin eine weitere Präzisierung der Fragestellungen
gewinnen. Als Hauptschwierigkeit kann die Bestimmung des
Verhältnisses von philosophischem Gedankengang und Auslegung des
biblischen Textes gelten. Dieses Verhältnis wird in der Regel dann
verkürzt aufgefasst, wenn man sich ihm, wie es allerdings
wissenschaftlicher Arbeitsteilung und methodischer Disziplin
entspricht, ausschließlich von einer der beiden beteiligten
Seiten, Exegese oder Philosophie, nähert.
Zunächst
ein Blick auf die exegetische Seite. H.-P. Müller hat in seinem
auf das Hiobproblem konzentrierten Forschungsbericht die
außertheologischen, besonders die philosophischen,
Hiobrezeptionen verhältnismäßig ausführlich
vorgestellt, ein verdienstvolles Vorgehen, dem bislang nichts
Vergleichbares an die Seite gestellt werden kann. Die
religionsphilosophischen Interpretationen kommen damit auf eine Ebene
mit den exegetischen Lektüren, ja, Müller nennt für das
18. und 19. Jh. Herder, Kant, Hegel und Kierkegaard vor den
eigentlichen Exegesen. Ohne es direkt zu sagen, zeigt er damit, dass
die religionsphilosophischen Auslegungen von erheblicher Bedeutung
für die moderne Hiobauslegung sind.
Die
Kritik an Müllers Vorgehen zielt darauf, seinen grundsätzlich
richtigen Gedanken in der Durchführung zu verbessern. Es wird
nämlich bei ihm nicht richtig klar, ob es eigentlich eine
Besonderheit der religionsphilosophischen Rezeptionen gibt und warum
sie eine so prominente Stelle in einem exegetischen Forschungsbericht
einnehmen dürfen. Müller scheint jedenfalls die Differenzen
zur Exegese als gering anzusehen, denn die religionsphilosophischen
Interpretationen werden im Abschnitt "Das Buch Hiob in der älteren
Forschung" behandelt. Obwohl gerade diese Lokalisierung es Müller
ermöglicht, sie auszuwerten, müssen Bedenken gegen die
einfache Zuordnung zur Logik der Forschung erhoben werden. Man muss
zwar gerade beim Hiobbuch mit Müller der Meinung sein, Exegese und
Auslegung ließen sich nicht trennen; dennoch empfiehlt sich zur
Analyse der religionsphilosophischen Rezeptionen ihre Unterscheidung.
Denn es handelt sich bei ihnen insofern um reine Auslegung und
Aneignung, als damit kein wissenschaftlich-exegetischer Zugriff auf den
Text verbunden ist. Keiner der "Philosophen" (selbst Herder nicht) ist
von den in der Forschung verfolgten Interessen am "ursprünglichen"
historischen Sinn, an der Verfasserfrage, an der Texteinheitlichkeit
her zu verstehen. Der z.T. vor-, z.T. "nach"-exegetische Zugang zum
Text ergibt sich regelmäßig aus dem philosophischen Kontext
und ist weder durch den Methodenkanon der wissenschaftlichen Exegese
strukturiert noch durch theologische Rücksichten gebunden. An die
Stelle der die Exegese organisierenden Metatheorie der historischen
Literaturwissenschaft tritt in der religionsphilosophischen Auslegung
die jeweilige philosophische Theorie bzw. das Thema. Dieser Kontext
wird bei Müller mit zu knappen Bemerkungen gestreift. Er muss
jedoch eingehender gewürdigt werden, einerseits um das Spezifikum
des nichtexegetischen Blicks auf den Text wahrnehmen zu können,
andererseits um in der Hiobexegese die Schicht identifizieren zu
können, die als aneignende und auslegende Dimension die Forschung
am Text beeinflusst; denn dass die Hiobexegese von vorneherein eine
philosophische Problemauffassung impliziere, ist eher eine These als
eine gesicherte Erkenntnis. Es besteht ein Ziel der vorliegenden
Untersuchung darin, eine solche Annahme zu bewahrheiten.
Nun
macht es sich die Darstellung der Rezeptionsgeschichte von der Seite
der Philosophie aus von vorneherein zur Aufgabe, die Rezeption
über die mit ihr verbundenen philosophischen Fragestellungen zu
erschließen. Die Untersuchung C.-F. Geyers über "Das
Hiobbuch im christlichen und nachchristlichen Kontext" hat den Vorzug,
eine klare, problemorientierte Struktur beinahe der gesamten
philosophischen Rezeptionsgeschichte des Hiobbuchs zu entwerfen. Dabei
werden theologische, an einer dogmatischen Wahrheit interessierte
Auslegungen den neuzeitlichen, hauptsächlich philosophischen
Interpretationen von Hobbes bis Ricoeur gegenübergestellt. Diese
stimmen nach Geyer darin überein, dass sie explizit oder implizit
gegen das Theodizeedenken eines Leibniz stehen. Das ist eine den
Theodizeebezug des Hiobbuchs erstmals genauer charakterisierende
Beobachtung.
Die Kritik an Geyers
Darstellung zielt darauf, dass die Rezeptionsgeschichte aus zwei
Gründen zu schematisch gefasst sein dürfte. (1) Dass alle
religionsphilosophischen Zugänge nur über die
Theodizeeargumentation rekonstruiert werden, vereinfacht die
philosophische Rezeptionsgeschichte zu sehr. Man kann nicht von
vorneherein davon ausgehen, dass der philosophische Problembereich
für das Hiobbuch immer gleich geblieben ist. Einerseits muss die
Geschichte im Problem stärker beachtet werden, obwohl sich zeigen
wird, dass tatsächlich eine erhebliche Konstanz in der
Problemzuweisung gegeben ist, andererseits aber kann die
Problemstruktur der Rezeptionsgeschichte noch präzisiert werden.
(2) Geyer löst die Rezeption in die Problemgeschichte hinein auf.
Damit wird implizit behauptet, dass sich der biblische Text immer schon
auf dem Niveau philosophischer Gedankenführung befindet. Das aber
ist für die religionsphilosophische Rezeptionsgeschichte nicht
ohne weiteres voraussetzbar und unterschätzt die historisch
wechselnde und in der Neuzeit tendenziell abnehmende Bedeutung vor
allem alttestamentlicher Texte. Zunächst muss also geklärt
werden, wie der Text überhaupt auf die Ebene der philosophischen
Argumentation kommt. Dieser Problemlage entspricht eher ein
reflexionsphilosophisches Vorgehen, so dass hermeneutische Fragen zu
erörtern sind bzw. der Geltungswert des alttestamentlichen Textes
für die Rezeption jeweils bestimmt werden muss. Dabei kann man
sich entweder an hermeneutische Reflexionen der Rezipienten selbst
anschließen (das ist möglich bei Kant und Herder) oder
Textauslegung im Sinne einer konstitutiven heuristischen Fiktion
unterstellen (das ist durchzuführen bei Hegel und Kierkegaard).
Vereinfacht formuliert, wird auf diese Weise der philosophische
Gedankengang als Exegese des Textes aufgefasst.
Damit
ergibt sich allerdings gegenüber dem Vorgehen Geyers insofern eine
methodische Einschränkung, als auch die Problemhaltigkeit der
Rezeption durchgängig an die Auslegung des Textes gebunden bleibt.
Die philosophischen Themen werden somit historisiert und zunächst
als individuelle Sichtweisen verstanden. Es kann aber nicht bestritten
werden, dass die systematische Erfassung des philosophischen
Themenbereichs, wie sie bei Geyer vorliegt (und wie sie auch bei
denjenigen unterstellt werden kann, die das Hiobbuch etwa auf das
Theodizeeproblem beziehen), auch für die Auslegung des Hiobbuchs
wichtig wäre; zu bestreiten ist nur, dass man die
Rezeptionsgeschichte durch das philosophische Problem konstruieren
kann, dass sie also mit der Problemgeschichte zusammenfällt. In
der Untersuchung der Rezeptionsgeschichte muss die Induktion auch
hinsichtlich der Themenerschließung den Vorrang vor der Deduktion
erhalten, obwohl dabei die induktionsspezifischen Abschwächungen
der kategorialen Präzision nicht vermieden werden können. So
kann die Geschichte der Rezeption bis an die Schwelle einer
möglichen gegenwärtigen Aneignung herangeführt werden,
von der C. F. Geyer ausgegangen ist.
Wie
der Ansatz Müllers auf die Notwendigkeit der Analyse des
philosophischen Kontextes verweist, so lässt das Vorgehen Geyers
davor warnen, den Hiobinterpretationen a priori ein Thema zu
unterstellen, das der logifizierte Inhalt des biblischen Textes ist.
Die aufgezeigte Problematik legt nun ein Vorgehen nahe, das methodisch
auf den Zwischenbereich von Exegese und Philosophie ausgerichtet und an
folgenden Momenten orientiert ist:
(1)
Der einzelne Rezeptionsvorgang wird in den Mittelpunkt gestellt und auf
dem Wege einer immanenten Interpretation des gesamten,
maßgebenden Kontextes analysiert, oder anders formuliert, die
Hiobrezeption wird aus der Interpretation des Textes heraus entfaltet.
Die leitende Fragestellung ist also nur indirekt die Interpretation des
philosophischen Themas, direkt, bzw. durch die Textinterpretation
hindurch, aber die Analyse der impliziten Hiobrezeption. Trotzdem muss
das Thema im Sinne hermeneutischer Voraussetzungen einbezogen werden,
einerseits um die zur Debatte stehenden Texte intern adäquat
verstehen zu können, andererseits um die traditionelle und doch
gewichtige Prägung der Rezeption durch Theologie und Exegese nicht
zum selbstverständlichen Rezeptionskriterium werden zu lassen. Mit
diesem Vorgehen kann aus jeder Interpretation ein spezifisches
Problemfeld herausgearbeitet werden.
(2)
H.-P. Müller ist darin zuzustimmen, dass religionsphilosophische
und exegetische Auslegungen zahlreiche Verbindungen und Parallelen
aufweisen. Diese Zusammenhänge sind (mit Ausnahme von Herder)
nicht rezeptionsgeschichtlicher, sondern problemgeschichtlicher Art.
Sie werden untersucht (außer bei Herder jeweils im zweiten
Abschnitt der Kapitel), indem die Ausstrahlung der
religionsphilosophischen Auslegung in die zeitgenössische Exegese
verfolgt wird, bzw. das jeweilige religionsphilosophische Problemfeld
jeweils als analytischer Schlüssel für die Erschließung
entsprechender Problembereiche in der Exegese fungiert.
Auf
diese Weise lassen sich mehrere einzelne Themen beschreiben, die nur
selten direkter Gegenstand der Hiobexegese waren, doch als
rezeptionsgeschichtliche Grundmotive gleichsam hinter dem Rücken
der Exegese Forschung und Lektüre mitorganisiert haben.
(3)
Die beschriebenen einzelnen methodischen Schritte dienen einer
Gesamtfragestellung, die Hiobexegese und religionsphilosophische
Auslegung betrifft, und zugleich die Verbindung der Hiobexegese zur
religionsphilosophischen Auslegung (und umgekehrt) erklärt. Diese
Fragestellung zielt auf Genese und Struktur der Hiobauslegung der
Neuzeit und ist im Anschluß an die knappe Bemerkung
H.-P.Müllers, mit Herder beginne die eigentlich moderne
Hiobauslegung, so zu umschreiben: Wann entsteht die moderne
Hiobauslegung? Wie kann der Übergang von der vormodernen in die
moderne Interpretation beschrieben werden? Was kennzeichnet sie in
ihren inneren Motiven und Strukturen? Welche Veränderungen lassen
sich im weiteren Fortgang feststellen?
Die
Genese und die Entwicklung der modernen Hiobauslegung bis 1900 werden
in der vorliegenden Arbeit als historisch spezifische Konstellationen
einer rezeptionsgeschichtlichen Grundstruktur erklärt,
nämlich anhand zweier Hauptgesichtspunkte, unter denen die moderne
(und auch die vormoderne) Auslegung betrachtet werden kann und die auch
innerhalb der einzelnen Problemfelder als bestimmend anzunehmen sind.
Der erste Hauptgesichtspunkt ist die Zuordnung eines
theologisch-philosophischen Themas zum Hiobbuch. Dieser thematische
Zugang besitzt eine Vorgeschichte, die bis ins 12.Jahrhundert
zurückreicht, so dass dort eine wesentliche Grundlage der modernen
Auslegung zu suchen sein wird. Der zweite Hauptgesichtspunkt ist die
Konzentration auf die Hiobfigur. Sie geht bis in die
frühchristliche Rezeption zurück und wird im 18. und 19.Jh.
auf spezifische Weise transformiert. Insofern die
religionsphilosophische Auslegung als modern bezeichnet werden, weil
sie eine neue Konstellation der beiden Hauptgesichtspunkte
hervorbringt, wäre die Beschreibung dieser Konstellation und ihrer
historischen Weiterentwicklung eine Antwort auf die Gesamtfragestellung.
e)
Aus diesen Überlegungen ergibt sich folgende Gliederung: Kapitel 2
wird einen Überblick über die wichtigen Linien der
Rezeptionsgeschichte in die moderne Auslegung geben, wobei die
genannten beiden Hauptgesichtspunkte orientierende Funktion haben
werden. Die Kapitel 3 bis 6 enthalten die Einzelstudien in historischer
Reihenfolge. Kapitel 3 behandelt Herders Hiobauslegung unter dem Thema
der Poesie; dieses Kapitel ist das ausführlichste, denn bei Herder
liegt eine bislang unzureichend gewürdigte Interpretation vor, die
darüberhinaus in einem sehr engen Zusammenhang mit der
zeitgenössischen Exegese steht. Aus Herders Lektüre
lässt sich daher ein Überblick über den Stand der
Hiobexegese in der zweiten Hälfte des 18.Jahrhunderts entwickeln.
Kants Hiobauslegung wird in Kapitel 4 dargestellt, verbunden mit einer
Untersuchung über die Zuordnung des Begriffs der Theodizee zum
biblischen Text. Die Analyse von Hegels Hiobinterpretation in Kapitel 5
führt zum Thema der jüdischen Religion und zur Frage, wie das
Hiobbuch an ihr partizipiert. Der zweite Abschnitt dieses Kapitels
untersucht das Hegelsche Thema in der Exegese des 18. und
19.Jahrhunderts. Für die Hiobexegese ist dies der vielleicht
wichtigste Abschnitt der Untersuchung, insofern er die Transformation
darstellt, die ein religionsphilosophisches Thema in der
historisch-kritischen Hiobexegese erfahren hat. Hier können am
deutlichsten Grenzlinien zwischen religionsphilosophischen und
exegetischen Auslegungen (aber auch Differenzen innerhalb der Exegese)
festgestellt werden. Endlich untersucht Kapitel 6 Kierkegaards
Hioblektüre und stellt sie in den Zusammenhang eines modernen
Bildes von Hiob, das bis ins 20.Jh. ausstrahlt. Das letzte Kapitel 7
führt die Untersuchungen zusammen. Es bietet (obwohl es nicht alle
einzelnen Problemfelder noch einmal aufgreift) in gewisser Weise ein
Resultat, da es auf die beiden genannten Hauptgesichtspunkte
zurückkommt und von ihnen aus eine Charakterisierung der modernen
Hiobauslegung und ihrer zentralen Aporie formuliert, so dass von da aus
der Weg wieder in die Exegese und Auslegung führen kann.
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