Stufenweg, 1999, 200x600 cm

Von der Videoinstallation geht es nun ein paar Schritte zurück zum Seiteneingang und von dort ins Mittelschiff der Kirche. Der Blick zum Altar zeigt die zentrale Arbeit von Madeleine Dietz in dieser Ausstellung in der Abdinghofkirche. Sie eröffnet einen erdgebundenen Weg, der im Kirchenschiff beginnt, dann die Stufen hinaufführt und vor dem Altar endet. Wo traditionell ein strapazierfähiger Teppich liegt, bedecken während der Ausstellung nun getrocknete, geschichtete und zugleich fragil erscheinende Erdstücke den Boden. Das verändert sowohl den Blick wie auch den Zugang zum Altar und zum Chor der Kirche radikal. Während ein Teppich wie ein Gebrauchsgegenstand wahrgenommen und genutzt wird, ist das bei diesem geschütteten "Stufenweg" anders. Er führt zu einer Irritation im Raumgefüge und man ist versucht, einen anderen Zugang zu wählen. Niemand betritt ohne weiteres diese Installation, der Weg zum Altar wird durch sie sowohl gebrochen als auch betont. In der Perspektive der Gottesdienstbesucher, die unten im Kirchenschiff sitzen, erwächst nun der Altar, ähnlich wie es der Prophet Hesekiel in einer seiner Visionen schildert, "aus dem Schoß der Erde". Traditionell erschließt der Fußboden einer Kirche den Weg von der Tür (d.h. von der Außenwelt) hin zum Altar (dem "Zentrum" der Kirche), er trägt das Geschehen in der Kirche. Der Fußboden einer Kirche stellte also für die Künstler immer schon eine besondere Herausforderung dar.

Heute ist der "Weg ins Leben" des wandernden Gottesvolkes in der Regel von betonter Schlichtheit. Auch die Installation von Madeleine Dietz wahrt diese Schlichtheit, aber sie macht gerade darin eindringlich auf die Materialität des Weges aufmerksam, indem sie die Erdgebundenheit, die man sonst allzu leicht übersieht, plastisch werden läßt und damit zugleich physisch wahrnehmbar macht. Religiöse wie ästhetische Erfahrungen sind nie abstrakt, sie geschehen konkret. Wir müssen sowohl religiöse wie ästhetische Räume betreten, sie begehen oder umschreiten, um Erfahrungen zu machen.

Wer den Stufenweg von Madeleine Dietz umschreitet, kann die komplexe Beziehung zum Raum, zur Geschichte, die er verkörpert, am eigenen Leib und mit eigenen Sinnen erfahren, vielleicht verändert er seinen Standpunkt auch und betrachtet seine Umgebung in neuer Perspektive.
 

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